Freitag, 19. April, 2024

Krebsforschung: Wie Bayer russische Wissenschaftler unterstützt

Von Maria Kotova

Krebs ist weltweit eine der häufigsten Todesursachen. 2018 starben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO 9,6 Millionen Menschen an dieser Krankheit. Sie entsteht, wenn Zellen sich in Tumorzellen verwandeln, wenn Krebsvorstufen zu bösartigen Geschwulsten werden. Diese Veränderungen vollziehen sich auf der genetischen Ebene, durch äußere Faktoren, etwa physikalische und chemische Kanzerogene (z. B. UV-Strahlung oder Zigarettenrauch), sowie bei Infektionen mit bestimmten Viren, Bakterien und Parasiten.

Entscheidende Voraussetzung für den erfolgreichen Kampf gegen Krebs ist die Früherkennung. Für die Entwicklung von Verfahren werden gewaltige Ressourcen der Wissenschaftsgemeinschaft eingesetzt.

In vielen Fällen gehören zur Krebstherapie auch gefährliche Methoden wie die Chemotherapie, deren Auswirkungen auf den Organismus meist recht gravierend sind. Gegenwärtig werden neue Verfahren entwickelt, welche die Nebeneffekte dieser Therapie minimieren sollen.

Zu diesen neuen Verfahren gehört das Projekt mit dem Titel „CAR-NK-Zellen als Plattform für eine universelle Krebstherapie“ von Andrey Gorchakov und Sergey Kulemzin, Doktoren der Biologie und wissenschaftliche Mitarbeiter des Laboratoriums für Immungenetik des Instituts für molekulare und zelluläre Biologie der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften. Es ist auf die Weiterentwicklung einer der aussichtsreichsten Varianten der Immuntherapie – die Zelltherapie unter Einsatz chimärer Antigenrezeptoren (CAR) – gerichtet. Diese Technologie sieht vor, dass den Patienten Immunzellen entnommen werden, in die anschließend kodierende CAR-NK-Elemente (für die Bekämpfung der konkreten Krebsart) implementiert, diese Zellen vermehrt und danach dem Patienten wieder injiziert werden.

Die von den Forschern aus Novosibirsk entwickelten „verstärkten“ CAR-NK-Zellen sind nicht nur in der Lage, Tumore selbst zu vernichten, sondern auch die benachbarten Makrophagen in diesen Vorgang einzubinden, also Zellen, die körperfremde oder giftige Substanzen einfangen und zerstören können. Diese rettenden Zellen sind universell, sie können für viele Menschen eingesetzt werden. Es ist ausreichend, einmalig solche Zellen gegen eine bestimmte Krebsart im Bioreaktor zu produzieren, danach können sie abgepackt, eingefroren und den Patienten injiziert werden.

Vor der Arbeit an diesem Projekt waren Gorchakov und Kulemzin mit Grundlagenforschung befasst. 2012 wandten sie sich der Immuntherapie zu. Der Russische Wissenschaftsfond stellte für das Projekt 18 Millionen Rubel bereit. 2017 stellten die Forscher es im Technopark Novosibirsk auf einem von Bayer veranstalteten Seminar vor.

Dort erfuhren sie, dass das deutsche Unternehmen in Russland den innovativen Forschungsinkubator „CoLaborator“ aufgebaut hat. Es ist das dritte derartige Projekt. Ziel des Inkubators ist es, junge Unternehmer zu unterstützen sowie Innovationen und den Wissensaustausch zu fördern.

Gorchakov betont, dass seinerzeit weder er noch Kulemzin wussten, welche Eigenschaften das Endprodukt eigentlich aufweisen sollte. Da es vergleichbare Projekte in Russland nicht gab, gab es keine Expertise, auf die sie sich hätten stützen können. Deshalb reichten die Forscher ihre Unterlagen beim CoLaborator-Wettbewerb ein. „Im Unterschied zur Mehrheit der russischen Stiftungen, bei denen eine Vielzahl von Unterlagen eingereicht werden müssen, musste für Bayer lediglich ein kleinerer Fragebogen ausgefüllt werden, was schnell erledigt war“, lobt Gorchakov.

So kam es zu einem Seminar mit den Forschern in Berlin. Teilnehmer waren auch zehn Professoren der Berliner Charité, des größten Klinikums in Europa, das auch Ausbildungsstätte für die Berliner Humboldt-Universität und die Freie Universität Berlin ist.

„Auf dem Seminar konnten keinerlei schwerwiegende Mängel an unserem Projekt aufgezeigt werden“, fährt Andrey Gorchakov fort. Von den Professoren erhielten die Forscher Empfehlungen zu den klinischen Untersuchungen. Anschließend unterbreitete die Charité den russischen Kollegen den Vorschlag, gemeinsam am Abschluss der vorklinischen Untersuchungen zu arbeiten.

Gorchakov gibt zu, dass er und Kulemzin keinerlei Erfahrung hatten, wie aus dem Projekt ein fertiges pharmazeutisches Produkt werden könnte. Aber er schließt nicht aus, dass internationale und russische Pharmaunternehmen Interesse an diesem Projekt finden könnten.

Am Bayer-CoLaborator können sich Studenten, Aspiranten, Dozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter führender russischer Universitäten und Forschungsinstitutionen sowie Hightech-Startups aus dem Pharmabereich beteiligen. Nach den Worten von Dmitry Vlasov, medizinischer Direktor von Bayer und Leiter des medizinischen Clusters der GUS-Staaten, sind führende Fachleute des Unternehmens in die weitere Beratung und Unterstützung von Projekten eingebunden, die im Wettbewerb ausgewählt wurden. Es gehe um die Weiterführung der Projekte bis zur kommerziellen Nutzung. Oft mangle es den Wissenschaftlern an wirtschaftlicher Praxis, der CoLaborator sei wichtig für die Vermittlung internationaler Erfahrungen und helfe bei Weiterentwicklung und wirtschaftlichen Verwertung.

Ziel des Projekts „CAR-NK-Zellen als Plattform für eine universelle Krebstherapie“ von Gorchakov und Kulemzin ist die Anwendung „verstärkter“ CAR-NK-Zellen vorzubereiten, die künftig für die Therapie einer breiteren Palette von Erkrankungen zum Einsatz kommen können, auch für nichtonkologische.

 

Maria Kotova
ist Reporterin in der Wirtschaftsredaktion von Kommersant.

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