Freitag, 29. März, 2024

Werte und Interessen

Von Galina Dudina

Außenminister Sergej Lawrow wechselt nicht in die Staatsduma. Die dort vertretenen Parteien suchen nach außenpolitischen Leitlinien

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat sein angestammtes Ministerium noch nicht verlassen, um in die Duma einzuziehen, obwohl er zuvor auf der Hauptliste von „Einiges Russland“ auf einen der ersten fünf Plätze gesetzt worden war. Aber auch ohne Lawrow, so die *Petersburger-Dialog*-Korrespondentin Galina Dudina, hätten die dort verbleibenden Duma-Abgeordneten alle Chancen, sich außenpolitisch zu beweisen.

Bereits Anfang September räumte Präsident Wladimir Putin ein, dass er es „bedauern“ würde, wenn er die Minister Sergej Lawrow und Sergej Schoigu an die Duma abgeben müsste. Beide standen auf der gesamtstaatlichen Liste von „Einiges Russland“, und auf dem Programm des Außenministers häuften sich Reisen innerhalb Russlands – nach Rostow am Don, Kaliningrad und Wolgograd. Bereits wenige Tage nach den Wahlen zur Staatsduma im September wurde jedoch deutlich, dass der Außenminister (ebenso wie sein Kollege) sein Tätigkeitsfeld vorläufig nicht wechseln würde.

Doch auch ohne die Mitwirkung von Sergej Lawrow bleibt die internationale Tätigkeit – neben der legislativen und repräsentativen Tätigkeit – formal einer der Hauptbereiche in der Arbeit der Duma, wenn auch die politische Krise in den Beziehungen zu den westlichen Ländern in den vergangenen Jahren die Arbeit in einer ganzen Reihe von bilateralen Bereichen behindert hat. „Das umfangreiche Programm der Staatsduma auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen ist nunmehr fest in den Gesamtrahmen des außenpolitischen Kurses Russlands eingebettet und ermöglicht es, die Interessen der Russischen Föderation im Ausland sowohl durch bilaterale Kontakte als auch im Rahmen der Aktivitäten der internationalen parlamentarischen Strukturen angemessen zu vertreten“, heißt es auf der offiziellen Website der zweiten Kammer. Im Prinzip sollten die Abgeordneten dadurch in die Lage versetzt werden, entsprechende Gesetze zur internationalen Zusammenarbeit zu verabschieden. Andrej Kortunow, Generaldirektor des russischen Rates für internationale Angelegenheiten, erklärte gegenüber RIA Novosti, dass viel davon abhängen werde, wer die internationalen Fachausschüsse in der Duma und im Föderationsrat leiten werde und „ob es weitere personelle Veränderungen geben wird“.

Die außenpolitischen Ambitionen der Parteien können natürlich auch anhand ihrer Wahlprogramme einer Einschätzung unterzogen werden.

„Die NATO-Stützpunkte rund um Russland werden immer zahlreicher. Die Sanktionen werden verschärft. Es gibt politischen Druck“, schlägt die Kommunistische Partei Alarm. Um das Land zu retten, schlägt die Partei grob zusammengefasst vor, „die nationale Sicherheit und die Position Russlands in der Welt zu stärken, die Kampfbereitschaft der Streitkräfte zu erhöhen und die Informations- und Technologiesicherheit zu verbessern“. Wie auch die anderen Parteien treten die Kommunisten für eine aktive Zusammenarbeit mit den Landsleuten und dem nahen Ausland („den Brudervölkern der UdSSR“) ein und unterstützen die Idee der Bildung eines Unionsstaates aus Russland und Weißrussland. Zu den konkreten Vorschlägen gehört die Idee, „die Volksrepubliken Donezk und Luhansk unverzüglich anzuerkennen“.

Die Liberal-Demokratische Partei formuliert ihre außenpolitischen Pläne noch konkreter. Allerdings erscheint ihre Umsetzung noch unwahrscheinlicher. Von den „100 Schritten“ des Wahlprogramms sind fünf der Außenpolitik gewidmet. Die Partei schlägt die Abhaltung von Referenden über die Rückführung aller ehemaligen Gebiete der UdSSR, die Begrenzung der US-Aggression und die Auflösung der Nato vor. Zudem soll mit den europäischen Ländern eine mit Moskau übereinstimmende Bewertung des Zweiten Weltkriegs und der Ausschluss Litauens, Lettlands und Estlands aus der EU „aufgrund Diskriminierung der Russen“ durchgesetzt werden. Letzteres ist quasi eine Wiederholung des ersten Punktes über die Gebiete der UdSSR. Der einzige gemäßigte Punkt scheint der Vorschlag zu sein, einen visafreien Reiseverkehr für Geschäftsleute aus den SOZ-, APEC- und BRICS-Ländern zu ermöglichen.

„Ein wahrer Patriot ist jemand, der sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten die Interessen seines Heimatlandes gegen den äußeren Feind verteidigt“, heißt es bei der Partei „Gerechtes Russland“. Das Parteiprogramm betont ebenfalls die Arbeit mit den Landsleuten und etwas genauer die Notwendigkeit der Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Mehr ist bei den Sozialdemokraten zur Außenpolitik nicht zu finden – mit Ausnahme der Aufforderung zur Ratifizierung von Artikel 20 des UN-Übereinkommens gegen Korruption, wonach die Staaten strafrechtliche Sanktionen für Beamte wegen unrechtmäßiger Bereicherung einführen sollten. Der Status dieses Artikels wird in der Russischen Föderation mitunter nicht eindeutig interpretiert. Einerseits wurde dieser Artikel bei der Ratifizierung des Übereinkommens im Jahr 2006 im einschlägigen Föderationsgesetz nicht in einem eigenen Absatz festgeschrieben. Andererseits stellt das Justizministerium fest, dass das Übereinkommen insgesamt ratifiziert wurde und dass zusätzliche Strafen für unrechtmäßige Bereicherung bereits in der russischen Antikorruptionsgesetzgebung verankert sind.

Die außenpolitischen Initiativen von „Einiges Russland“ und der „Neuen Leute“ stellen sich etwas detaillierter und ausführlicher dar. In trockener bürokratischer Sprache verspricht „Einiges Russland“, „die nationalen Interessen Russlands in der Außenpolitik entschlossen zu verteidigen“, Landsleute im Ausland zu unterstützen, Integrationsstrukturen (Eurasische Wirtschaftsunion, GUS, SOZ, BRICS, OVKS) und den internationalen Handel auszubauen, gegen übermäßige Bürokratisierung und Handelshemmnisse zu kämpfen und ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern.

„Wenn alles, was ein Land in der Außenwelt tut, rein vom Egoismus ‚nationaler Interessen‘ diktiert wird“, heißt es bei den „Neuen Leuten“, „dann werden Atomwaffen, die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat und andere Attribute der ‚absoluten Souveränität‘ von anderen unweigerlich als unfairer Wettbewerbsvorteil wahrgenommen. Und das liefert denjenigen, die eine ‚Politik der Eindämmung‘ gegenüber Russland betreiben, immer mehr Argumente.“ Die Partei schlägt vor: „Es gibt nur einen Ausweg aus der Sackgasse der ‚Eindämmung‘. Absage an die Methoden und Stereotypen des geopolitischen Zynismus der Vergangenheit – der Welt endlich zu erklären, für welche Werte Russland steht, mit wem und was wir nicht einverstanden sind, wen wir als unsere Verbündeten und wen als Widersacher sehen und warum.“ Um dies zu erreichen, sei es nach Ansicht der „Neuen Leute“ notwendig, die öffentliche und humanitäre Diplomatie sowie die Kontakte zu ausländischen Medien auszubauen.

Ob es den Abgeordneten gelingen wird, diese meist eher vagen Punkte umzusetzen, bleibt offen. „Die Wähler sind an diesem Teil des Programms nicht interessiert: In Fokusgruppen sagen die meisten, dass sie im Allgemeinen mit der aktuellen Außenpolitik zufrieden sind, im Gegensatz zum Zustand der Wirtschaft und des sozialen Bereichs“, erklärte Jewgenij Mintschenko, Präsident der Kommunikationsholding Minchenko Consulting, gegenüber dem *PD*. Sergej Lawrow sagte das Gleiche – noch bevor er es offiziell ablehnte, in die Staatsduma zu wechseln: „Wir haben einen nationalen Konsens in den allermeisten außenpolitischen Fragen, und das gibt uns Stärke, weil unsere Bürger immer verstehen, was wir tun, und unterstützen, was wir tun“, erklärte er und ergänzte: „Ich sehe weder rechtlich noch politisch einen Grund, diesen außenpolitischen Kurs zu ändern.“

Gleichzeitig hält Jewgenij Mintschenko die Idee der „Neuen Leute“, auf eine aggressive außenpolitische Rhetorik zu verzichten, für realisierbar: „Es gibt einen Teil der Elite, der damit nicht zufrieden ist. Wir haben auch in Fokusgruppen die Idee getestet, stattdessen in der Sprache der Interessen zu sprechen, und ein Teil der Befragten stimmte bereitwillig zu, dass es notwendig ist, sich mit anderen Ländern zu einigen.“ Nach Ansicht des Experten könnten Politiker, die gerade erst in die Duma eingezogen sind, nun versuchen, technische Vorschläge in Richtung Entspannung zu machen und „bei null“ zu beginnen.

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