Freitag, 19. April, 2024

Typisch europäisch

Von Lutz Lichtenberger

In der Hitze des Wahlkampfs zum Europäischen Parlament haben sich in diesen Wochen die grobkörniger argumentierenden Parteien aller Populisten-Länder wieder auf die Idee Europa eingeschossen. Der Europarat mit seinen 47 Mitgliedstaaten ist kein Teil der Europäischen Union, hat aber in diesen Tagen gezeigt, wie die Kompromissfindungsmaschinerie Europa funktionieren kann. Der Ausschluss Russlands aus dem Gremium ist erst einmal abgewendet.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hatte Russland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 das Stimmrecht entzogen. Russische Vertreter nahmen seitdem nicht mehr an den Sitzungen teil, Moskau stellte 2017 die Zahlungen an den Europarat ein. Aber die älteste europäische Nachkriegsorganisation steht ebenso für die weniger pathetische als vielmehr praktische und erfahrungssatte Überzeugung, dass es eines den Kontinent umspannenden, nicht endenden Dialogs bedarf.

Dankenswerterweise gelang dem Ministerkomitee unter finnischer Präsidentschaft Mitte Mai, ein neues Verfahren für Fälle zu entwickeln, in denen ein Mitgliedsstaat „seine Verpflichtungen aus den Statuten verletzt oder die Standards und fundamentalen Prinzipien und Werte verletzt, die der Europarat für sich in Anspruch nimmt“. Die spezifischen Mechanismen für künftige Sanktionen werden in den entsprechenden Gremien ausgehandelt, typisch europäisch.

Die Außenminister einigten sich in Helsinki aber mit Blick auf Moskau auch darauf, in Russland unter staatlichem Druck stehende Nichtregierungsorganisationen in Zukunft stärker in die Arbeit des Rats einzubeziehen. Der Rat soll sich außerdem entschiedener für die Zivilgesellschaft einsetzen, sowie Menschenrechtsaktivisten in den Mitgliedsländern schützen und unterstützen.

Vielleicht reicht das noch nicht aus. Aber die andere Seite der klassisch europäischen Methode des geschäftigen Weiterwursteln ist die oft unterschätzte soft power der Idee Europa: Wir bleiben im Gespräch, wir suchen immer weiter nach Annäherung.

Lutz Lichtenberger
ist Redakteur dieser Zeitung.