Verblüffende Parallelen
Romantik-Ausstellung in Moskau – eine Rückschau und ein Ausblick
Ein warmer Samstagabend im Moskauer Sommer. Im Gorki-Park herrscht buntes Leben. Viele Menschen flanieren oder treiben Sport, unterhalten sich, lachen oder schauen auf die vorbeifließende Moskwa. Doch trotz des guten Wetters ist auch die Romantik-Ausstellung in der benachbarten Tretjakow-Galerie außerordentlich gut besucht. Jung und Alt möchten in den abgedunkelten Räumen die Bilder der romantischen Maler aus Deutschland und Russland betrachten – genauso wie die Kunstwerke, die den Einfluss dieser Kunstrichtung bis in die heutige Zeit hinein spürbar werden lassen. Diese Ausstellung mit Kunstwerken aus Dresden und Moskau – eines der wichtigsten Kulturprojekte des „Deutschlandjahres in Russland 2020/21“ – ist ein Publikumsmagnet, begrenzt nur durch die coronabedingten Zugangsregelungen. Die Tretjakow-Galerie hat dafür extra ihre Öffnungszeiten verlängert.
Schon die Ausstellungsarchitektur von Daniel Libeskind ist ein Ereignis: keine rechtwinklige Logik, sondern ein labyrinthähnliches System von Gängen, ausgerichtet an der Achse Dresden-Moskau. Sie gibt keine „logische“ Gangrichtung vor und erlaubt überraschende Bezüge zwischen deutschen und russischen Ausstellungsstücken. Form und Thema der Ausstellung harmonieren.
Viele Fragen sind mit dem Begriff verbunden: Romantik – bedeutet dies nicht Rückzug auf sich selbst und die eigene Gefühlswelt? Steht diese Kunstrichtung nicht für die Entdeckung eines in erster Linie nationalen Weges zu einer nationalen Kunst? Ist nicht Johann Gottfried Herder ihr philosophischer Partner, der in der Kultur den Nukleus des Nationalgefühls zu erkennen glaubte? Gehört nicht jeder Nation ihre ganz eigene Romantik?
Die Ausstellung zeichnet ein differenzierteres Bild, ausgehend von den vielfältigen internationalen Verbindungen der Künstler zur Zeit der Romantik. Gerade zwischen Russland und Deutschland hat es Anfang des 19. Jahrhunderts eine stark entwickelte Kooperation und viele persönliche Begegnungen zwischen Künstlern gegeben. Anregungen aus Russland wurden begierig in Deutschland aufgegriffen, genauso wie die russischen Künstler der Romantik sich von ihren Kollegen aus Deutschland haben inspirieren lassen. Das Ergebnis sind oftmals verblüffende Parallelen im künstlerischen Ausdruck.
Die Besinnung auf das Eigene ist ohne den Kontakt mit den Anderen nicht sinnvoll möglich. Kunst in jeglicher Form strebt über nationale Grenzen hinweg, wenn sie nicht erstarren will. Diese Erkenntnis lässt die Ausstellung deutlich hervortreten. Genauso wie den Freiheitsraum, der für kreatives Kunstschaffen konstitutiv ist. Mit ihrer künstlerischen Reaktion auf gesellschaftliche und politische Zwänge haben die Romantiker gegen Konventionen verstoßen und traten staatlicher Freiheitsbegrenzung entgegen. Der Titel der Ausstellung „Träume von Freiheit“ greift diesen Freiheitsdrang auf und zeigt uns eindringlich: Entwicklung und Fortschritt sind nur im Miteinander, über Grenzen hinweg, möglich.
Die vom Auswärtigen Amt geförderte Romantik-Ausstellung ist das Ergebnis einer jahrelangen fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen zwei namhaften Museen: den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau. Diese Kooperation – wie das Deutschlandjahr in Russland insgesamt – beweist, wie vorteilhaft eine enge Kooperation im Kulturbereich zwischen unseren beiden Ländern sein kann. Sehr zur Freude der Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, die sich in Moskau von April bis August 2021 von Caspar David Friedrich oder Alexander Ivanov haben inspirieren lassen und dabei feststellten, wie viel bei aller unterschiedlichen Perspektive unsere beiden Länder verbindet – nicht nur kulturell.
Am 2. Oktober wird die umjubelte Ausstellung im Albertinum in Dresden eröffnet und dort bis zum 6. Februar 2022 gezeigt werden. Wir dürfen gespannt sein, welches Echo sie beim deutschen Publikum hervorruft. Eines ist sicher: Die Ausstellung trägt maßgeblich zur Stärkung der deutsch-russischen Verbindungen und zur Festigung unserer Kulturbeziehungen bei.
Guido Kemmerling
ist seit diesem Sommer 2021 Leiter des Kulturreferats an der Deutschen Botschaft Moskau.
Jan Kantorczyk
war bis zum Sommer 2021 Leiter des Kulturreferats an der Deutschen Botschaft Moskau.