Freitag, 29. März, 2024

Go East!

Von Horst Schneider

Johannes Voigtmann hat den ungewohnten Schritt gewagt, der NBA abzusagen. Als erster Deutscher spielt er Basketball für das Moskauer Spitzenteam ZSKA

Die Teilnahme an den Olympischen Spielen ist für jeden Sportler ein Karriere-Höhepunkt, der indes für die meisten nur ein schwer realisierbarer Traum ist. Die deutschen Basketballer qualifizieren sich etwa nur alle 20 Jahre für das Olympia-Turnier. Umso größer war der Jubel im vergangenen Sommer, als die auch noch durch zahlreiche Absagen und Verletzungen geschwächte deutsche Auswahl sich bei einem Turnier im kroatischen Split die Teilnahme an Olympia sicherte und anschließend in Tokio – zum ersten Mal seit 1992 – sogar das Viertelfinale erreichte.

Für den deutschen Nationalspieler Johannes Voigtmann, der seit 2019 für ZSKA Moskau spielt, ergab sich dabei ein delikates Duell gegen die russische Auswahl, in der mehrere seiner Kameraden von ZSKA standen. Deutschland schaltete die Russen auf seinem Weg nach Tokio mit 69:67 aus, und Voigtmann avancierte dabei im Schlussviertel zum Matchwinner. „Natürlich war das ein ganz besonderes Spiel für mich“, gestand der Nationalcenter nach dem Spiel: „Ich kannte die Stärken und Schwächen einiger russischer Nationalspieler, und ein wenig hat uns das vielleicht auch geholfen.“

Gewöhnlich blicken deutsche Basketballer bei der Vereinswahl eher gen Westen. Ganz oben auf der Wunschliste steht natürlich die US-Profiliga NBA, die aber nur die wenigsten erreichen. Das zweite Ziel ist dann im Basketball als beste Liga in Europa in der Regel die spanische ACB. In die wechselte nach Stationen in Jena (bis 2012) und Frankfurt 2016 auch der gebürtige Eisenacher Johannes Voigtmann. Der Center trug drei Jahre lang das Trikot von Baskonia Vitoria und imponierte dabei vor allem mit seiner für einen 2,11 Meter großen Center seltenen Beweglichkeit und Vielseitigkeit.

Der technisch sehr versierte Voigtmann kann nämlich noch viel mehr als die meisten seiner Center-Kollegen. Er trifft den Korb sogar von jenseits der Drei-Punkte-Linie und setzt seine Mitspieler mit viel Spielübersicht wie ein Aufbauspieler mit intelligenten und präzise gespielten Pässen in Szene. Dass er filigraner als viele Center-Kollegen mit dem Basketball umgehen kann, erklärt der Nationalspieler damit, dass er als Sohn einer Handball-Familie in seiner Jugend in Eisenach bis zu seinem 15. Lebensjahr zunächst Handball spielte und dabei das schnelle Passen lernte.

Mit seinen bei Baskonia weiter verfeinerten Qualitäten spielte sich der deutsche Nationalcenter sogar in die Notizbücher der NBA-Scouts und hätte 2019 zu den Washington Wizards wechseln können. Doch der für seine Bodenständigkeit und Besonnenheit bekannte Voigtmann entschied sich für einen Wechsel zu ZSKA Moskau. „Ich habe mich gegen die NBA entschieden, weil meine Rolle nicht klar gewesen wäre“, sagte er damals der *Thüringer Allgemeinen*. „Nur um am Ende sagen zu können – ‚ich spiele NBA‘ – hätte ein Wechsel keinen Sinn ergeben“, fand er.

Das aus der früheren Basketball-Abteilung des Zentralen Armeesportclubs hervorgegangene ZSKA Moskau ist allerdings auch nicht irgendein Verein, sondern eine Top-Adresse im europäischen Vereinsbasketball. Der russische Serienmeister der vergangenen 19 Jahre erreichte seit 2003 bis auf eine Ausnahme (2011) immer das Final Four der Europaliga. Kein anderer Club stand öfter im prestigeträchtigen Finalturnier um die europäische Basketball-Krone. Siebenmal erreichte ZSKA das Finale, 2006, 2008, 2016 und 2019 gewannen die Moskauer den Titel.

ZSKA war nicht immer so erfolgreich und stand 1996 sogar vor dem Bankrott. Aber der damalige ZSKA-Trainer Alexander Gomelski fand in letzter Sekunde in Michail Prochorow einen überraschenden Retter. Der Milliardär, der 2009 mit der Übernahme des NBA-Clubs Brooklyn Nets weltweit in die Schlagzeilen kam, erinnert sich in seinem persönlichen Blog, wie er zum Basketball kam: „1996 kam Alexander Yakowlevitsch Gomelski zu mir (mein Vater war mit ihm befreundet, und ich kannte ihn von Kindheit an) und sagte: ‚Mischa! Wir müssen die ZSKA-Basketballmannschaft retten!‘ So ging die Geschichte los.“

Prochorow, der damals unter anderem Geschäftsführer von Norilsk Nickel war, öffnete die Portokasse des weltgrößten Nickel-Produzenten und machte ZSKA zum reichsten Basketballclub in Europa. Zwar hat der schillernde Geschäftsmann, der laut Forbes zu den 200 reichsten Menschen in der Welt gehört, sich mittlerweile aus dem Nickelgeschäft zurückgezogen, aber auch die neue Geschäftsführung von Nornickel unterstützt die Basketballer weiter großzügig. Ein Angebot von ZSKA zu erhalten, kommt somit auch heute noch einer mit einem Lottogewinn kombinierten Allstar-Nominierung gleich.

Voigtmann, der bei ZSKA aktuell unter dem griechischen Trainer Dimitris Itoudis neben russischen Nationalspielern Stars aus den USA, Serbien, Italien, Litauen, Georgien und Dänemark an seiner Seite hat, hat sich mit seiner Frau und den beiden Kindern in der russischen Hauptstadt seit 2019 gut eingelebt. Lediglich, dass Familienangehörige und Freunde ihn dort nicht wie zuvor in Spanien spontan besuchen können, stört ihn etwas: „Hier muss ich mich vor dem Besuch um ein Visum kümmern und dies und jenes machen“, beschrieb Voigtmann das kürzlich im MagentaSport-Podcast.

Viel Freizeit bleibt einem ZSKA-Profi bei regelmäßig zwei, oft sogar drei Spielen pro Woche und den damit verbundenen weiten Reisen kreuz und quer durch Russland und Europa aber ohnehin nicht. Der Erwartungsdruck, der in Moskau auf dem Star-Ensemble lastet, ist dabei immens. Alles andere als ein erneutes Erreichen des europäischen Final Four wäre für die Moskauer eine große Enttäuschung, und das wird den Spielern auch so signalisiert. Für Voigtmann kommt in dieser Saison ein zusätzlicher Anreiz hinzu: Das Finalturnier findet Ende Mai in Berlin statt.

Horst Schneider
ist einer der führenden Basketballexperten in Deutschland und schreibt für zahlreiche deutsche Tageszeitungen.

Feuilleton