Freitag, 29. März, 2024

Ukraine: Neue Ansätze für einen alten Konflikt

Von Vladimir Soloviev Putins Problemlöser in der Ukraine: Dmitri Kosak
Bild: imago images/ITAR-TASS

Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinen bisher für die politischen Beziehungen zur Ukraine und zur international nicht anerkannten Republik Donbass zuständigen Berater abberufen. An die Stelle von Wladislaw Surkow, der fast sieben Jahre lang diese Themen betreute, tritt jetzt Dmitri Kosak. Der Weggang des Hardliners Surkow wurde in Kiew mit Enthusiasmus begrüßt, man schließt daraus, dass Moskau seine Haltung in Bezug auf den Donbass mildern könnte.

Schon seit dem Sommer vergangenen Jahres wurde darüber spekuliert, wer  neuer Chefunterhändler für den Donbass werden könnte. Über die Möglichkeit einer Rotation sprach man schon bald nachdem Petro Poroschenko, der in Moskau als nicht verhandlungsbereit galt, bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen Wolodymyr Selenskyj unterlegen war. Mit Selenskyj, der Frieden im Donbass zu seinem zentralen Ziel erklärte, verband sich die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Sackgasse.

Erste Gespräche ergaben sich im Sommer vergangenen Jahres, als Moskau und Kiew über einen Gefangenenaustausch verhandelten. Zunächst verständigten sich die beiden Präsidenten in mehreren Telefonaten über die Rahmenbedingungen, dann wurden ihre Assistenten und weitere Beamte einbezogen.

Im September kam es zum Austausch unter der Formel „35 gegen 35“. Zusammen mit den in Russland inhaftierten ukrainischen Seeleuten konnte auch der Regisseur Oleg Senzow nach Hause fahren. Den Weg in die entgegengesetzte Richtung nahmen russische Bürger, die in der Ukraine Haftstrafen abzubüßen hatten, unter ihnen auch der wegen Hochverrats angeklagte Journalist Kirill Wyschinski.

Bald darauf wurde bekannt, dass auf russischer Seite nicht nur der langjährige Ukraine-Berater im Kreml und Assistent Putins Surkow mit dem Austausch befasst war, sondern auch Kosak, zu dieser Zeit stellvertretender Ministerpräsident in der russischen Regierung. Er war es, der rasch den Kontakt zu Andrij Jermak hergestellt hatte, der als Assistent Präsident Selenskyjs für die Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine zuständig ist. Schon damals wurde darüber spekuliert, ob der aus der Ukraine stammende Kosak bald zur führenden Figur der russischen Ukrainepolitik werden könnte.

Die Gerüchte bestätigten sich im Januar, als Kosak nach dem Rücktritt der Regierung Dmitri Medwedjews aus der Regierung im Weißen Haus in den Kreml wechselte und stellvertretender Chef der Präsidialverwaltung wurde. Surkow reagierte darauf mit seinem Rücktrittsgesuch, das Putin lange nicht unterzeichnete. Am 18. Februar schließlich kam es doch zu Surkows offizieller Entlassung.

Surkow kommentierte den Vorgang mit keinem Wort. Alexej Tschesnakow jedoch, Direktor des Zentrums für politische Konjunktur und Surkows Vertrauter – so etwas wie das Sprachrohr Surkows in den sozialen Netzwerken –erklärte dessen Entscheidung mit einen Kurswechsel bezüglich der Ukraine.

Bisher gibt es keinerlei offizielle Hinweise darauf, in welche Richtung Moskaus Kurs sich ändern könnte oder ob er sich überhaupt ändert. Vielmehr erklärte der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow: „Alle Verlautbarungen über einen Kurswechsel gegenüber der Ukraine entsprechen nicht den Tatsachen und geben lediglich den Standpunkt desjenigen wieder, der diese Äußerungen macht.“

Man weiß allerdings, dass Surkow und Kosak in der Einschätzung der Lage häufig unterschiedlicher Auffassung waren. Angeblich kam es zwischen den beiden Vertrauten Putins wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit dem Donbass, und zwar sowohl in ökonomischen als auch in politischen Fragen.

Mittelbar wurde dies kürzlich durch Selenskyjs Assistenten Jermak bestätigt, seit Februar 2020 Chef der Präsidialverwaltung des ukrainischen Präsidenten. Jermak und Kosak wirkten nicht nur aus der Entfernung bei dem genannten Gefangenenaustausch zusammen, sie trafen sich laut der Zeitung Kommersant auch mehrere Male in Minsk, wo sie über eine mögliche politische Lösung des Konflikts im Donbass gesprochen haben sollen. Dabei äußerte sich Jermak höchst positiv über Kosak. Seiner Einschätzung nach sei der neue stellvertretende Chef der russischen Präsidialverwaltung eher bereit zum Dialog als Surkow.

Surkow hatte von ukrainischer Seite nie Komplimente zu erwarten, und ihm lag eigentlich auch nicht daran. Er misstraute den Ukrainern. Außerdem machte der ehemalige Assistent Putins nie einen Hehl aus seiner äußerst harten Position gegenüber Kiew, auch nicht aus seinen Sympathien für die international nicht anerkannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken (DNR und LNR), mit deren Entstehung er, wie es heißt, unmittelbar zu tun hatte.

Die Lösung des Konflikts im Donbass wäre nach Auffassung Surkows letztlich die Schaffung eines Mini-Russlands innerhalb der Ukraine. Die Donezker und Lugansker Volksrepubliken seien für ihn Gebiete, für die eigene Gesetze gelten sollten, nicht die der Ukraine, und die in einer besonderen, privilegierten Beziehung zu Moskau stehen sollten. Dies alles gesetzlich zu verankern, auch in der ukrainischen Verfassung, sei Sache des ukrainischen Staates selbst.

Von dieser Einstellung wollte Wladislaw Surkow keinen Millimeter abweichen, und er verlangte von der ukrainischen Seite immer die strikte Befolgung aller Punkte des Minsker Abkommens in genau der festgelegten Reihenfolge. Das führte zu Streit mit Kiew.

Die ukrainische Seite wollte erst die Kontrolle über das Grenzgebiet zu Russland wiedererlangen und erst danach gesonderte Wahlen für die regionalen Regierungen der Regionen Donezk und Luhansk (ORDLO)  abhalten. Moskau dagegen verwies immer darauf, dass im Minsker Abkommen eine andere Reihenfolge verankert sei und beharrte darauf: zuerst Wahlen (das heißt die Bildung einer von Kiew anerkannten Regierung in den Donezker und der Luhansker Republiken), danach erst Wiederherstellung der Kontrolle über die Grenzen durch die ukrainische Regierung.

Jüngstes Beispiel für die Kontroverse darüber war der Gipfel im „Normandie-Format“, der am 9. Dezember in Paris stattfand. Surkow gehörte dabei zu den russischen Unterhändlern. Auf der abschließenden Pressekonferenz der vier Staatschefs diskutierte Putin mit seinem ukrainischen Amtskollegen Selenskyj unter anderem darüber, wann und wie der ukrainischen Regierung die Kontrolle über die Grenzen übergeben werden solle, sowie über den Sonderstatus der beiden sogenannten Volksrepubliken. Putin bekräftigte damals, dass deren Sonderstatus in der Verfassung der Ukraine verankert werden müsse. Selenskyj antwortete darauf, die ukrainische Regierung sei nicht willens, das grundsätzliche Ziel einer Föderalisierung des Landes zu ändern. „Wir werden keinerlei Beeinflussung der politischen Führung der Ukraine zulassen.“

Kosak hat den Ruf eines Pragmatikers, der Probleme lösen kann. Zwar war er vor dem Wechsel auf seinen derzeitigen Posten in der Präsidialverwaltung als stellvertretender Ministerpräsident für die Energiewirtschaft zuständig, doch ist ihm das Problemfeld der postsowjetischen Länder nicht fremd. Im Juni 2019 wurde mit Hilfe seines von Putin sanktionierten persönlichen Eingreifens in der Republik Moldau der allmächtige Oligarch Vladimir Plahotniuc schnell und unblutig entmachtet.

Kosaks Pragmatismus zeigte sich damals deutlich. Um erfolgreich zwischen der prorussischen, vom Kreml unterstützten Partei der Sozialisten (PSRM) und dem prowestlichen Block Acum, zu dem auch die rechte Partei „Plattform Würde und Wahrheit“ (PAD) und die Partei „Aktion und Solidarität“ (PAS) gehörten, vermitteln zu können, garantierte er dem Block Acum den Posten des Premiers in der postoligarchischen Regierung.

Man könnte schwerlich sagen, wann in der jüngeren Geschichte, vor allem nach Ausbrechen der ukrainischen Krise und dem damit zusammenhängenden Konflikt zwischen Russland und dem Westen, Moskaus Unterhändler jemals ruhige Gespräche mit Parteien und Politikern geführt hätten, die sich offen dafür einsetzten, dass ihr Land sich so weit wie möglich von Russland und dessen Interessen distanziert. Kosak war dazu imstande.

Wenn sich in naher Zukunft bestätigen sollte, dass es jetzt ein von Kosaks zentralen Aufgaben ist, die Rücknahme oder wenigstens eine wesentliche Milderung der auf Russland lastenden Sanktionen zu erreichen, könnte der neue Ansatz des Kremls die Lösung des Konflikts im Donbass ermöglichen. Diese Hoffnung stützt, dass Kosak schon einmal mit einer international nicht anerkannten Republik im postsowjetischen Raum zu tun hatte, gerade im Kontext ihrer Reintegration: Im Jahre 2003 entwarf er den Plan für eine Rückkehr der Pridnestrowischen Moldauischen Republik (Transnistrien) in die Rechtshoheit von Kischinew (Chişinău).

 

Vladimir Soloviev
ist Korrespondent von Kommersant.

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