Mittwoch, 10. April, 2024

Seit mehr als 70 Jahren werden Sprachmittler in Leipzig ausgebildet, doch der letzten Akademikerschmiede für Russisch-Dolmetscher in Ostdeutschland droht das Aus

Von Winfried Mahr

Russisch-Übersetzer sind sehr gefragt, aber deren akademische Ausbildung Sachsen könnte bald vorbei sein. Der letzten Ausbildungsstätte für Russischdolmetscher in den neuen Bundesländern droht das Aus. Noch wird nach einer Lösung gesucht, um den traditionsreichen Sprachschwerpunkt Russisch am Leipziger Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) nach mehr als sechs Jahrzehnten nicht für immer verstummen zu lassen.

In einer Online-Petition an das Uni-Rektorat warnen angehende Russisch-Dolmetscher vor der Schließung als „Rückschritt in der Völkerverständigung in Zeiten wirtschaftlichen Aufbruchs und einer außenpolitischen Situation, in der wir uns nicht mehr nur nach Westen orientieren können“, so die Initiatorin Olga Frolova, Master- Studentin für Konferenzdolmetschen.
Die drohende Schließung des Schwerpunkts Russisch am IALT sei „eine Konsequenz der Sparbeschlüsse der vormaligen sächsischen Landesregierung“, erklärt Institutsleiter Oliver Czulo. Aufgrund knapper Finanzausstattung sei man gegenüber Dolmetscherschmieden wie München, Germersheim und Heidelberg, die auch Russisch anbieten, kaum noch konkurrenzfähig. „Eine Schließung würden wir natürlich sehr bedauern“, sagt er. Mit Lehrkräften anderer Fachrichtungen wie West- und Ostslawistik, Orientalisitik und anderen suche man nach Auswegen, um die Lehre doch noch fortsetzen zu können.

Das sächsische Wissenschaftsministerium will in die Zukunft der Leipziger Übersetzungswissenschaft nicht eingreifen. Die neue Struktur des IALT sei Aufgabe der Universität Leipzig. „Wir stehen mit den Hochschulen wegen der Auswirkungen der bereits vollzogenen Stellenkürzungen in Kontakt und sind sehr daran interessiert, dass ein möglichst breites und ausdifferenziertes Angebot an Studienfächern vorgehalten werden kann, damit die für die Gesellschaft nötigen Fachkräfte ausgebildet werden können“, ließ Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) wissen.

Eine Fakultätsratssitzung in der zweiten Maiwoche brachte nichts wesentlich Neues, so Institutsdirektor Czulo, aber „die relevanten Gespräche stehen erst in den kommenden Wochen an“. Das bestätigte auch Karin Hämmer, Dekanatsrätin der Philologischen Fakultät: „Wir haben noch keinen Beschluss gefasst.“ Man wolle erst das Ergebnis laufender Rektoratsverhandlungen mit Botschaften und Unternehmen abwarten. Der Rat hatte sich zwar prinzipiell für den Erhalt des Russischschwerpunkts ausgesprochen. Es gebe aber kaum Handlungsspielraum, falls „die benötigten Stellen vom Rektorat nicht zur Verfügung gestellt werden“, hieß es. Deshalb setzt der Fakultätsrat die Zukunft der Russisch-Dolmetscher Anfang Juni erneut auf die Tagesordnung, kündigte Hämmer an.

Durch den 2010 von der damaligen CDU/FDP-Regierung beschlossenen Stellenabbau musste die Leipziger Universität mehr als 100 Lehrkräfte entlassen, so das Rektorat. „Die sind weg, und das ist ein schmerzlicher Verlust“, räumt Uni-Sprecher Carsten Heckmann ein. „Wenn da nicht nachgesteuert wird, werden wir die Schmerzen auch in den nächsten Jahren noch an mehreren Stellen spüren.“ Trotz personeller Engpässe habe aber bislang „niemand beschlossen, den Russisch- Schwerpunkt in dieser Ausbildung zu streichen“, versichert er.

Die bislang bevorzugte Notlösung, Professuren aus anderen Fachbereichen kurzerhand für die Russisch- Ausbildung umzuwidmen, ist für den Rat der Studentinnen und Studenten allerdings unbrauchbar. Das würde nur zur „Unstudierbarkeit“ anderer Fächer führen – denn „keines der anderen Institute hat Stellen über“, ließ der Fachschaftsrat wissen.

„Wo wir mit Russisch am Ende genau landen, kann man jetzt noch nicht sagen, das müssen wir noch austarieren“, gab Institutsleiter Czulo zu bedenken. Um sich dennoch mit der hoffnungsvollen Prognose aus dem Fenster zu lehnen: „Die Schwerpunkte Russisch-Übersetzen und -Dolmetschen werden für alle Neuimmatrikulierten am IALT im kommenden Wintersemester weiter angeboten.“ Das betreffe die Bachelor- Studiengänge ebenso wie Master Translatologie und Konferenzdolmetschen. „Ich kann dem Land und der Universität nur nahelegen, ein Institut zu fördern, das wie kein anderes für Internationalität steht“, so der Direktor. Die Blockade durch Spardiktate müsse aufhören.

Weit mehr als 3000 Unterstützer haben die Petition zum Erhalt der Dolmetscherausbildung auf Change.org bislang unterzeichnet. Zu ihnen gehört auch Anastasia Ostretsova. Nachdem die gebürtige Russin in Leipzig „eine hochkarätige Ausbildung bekommen“ und dann acht Jahre lang selbst angehende Dolmetscher ausgebildet hatte, wie sie selbst sagt, arbeitet sie seit diesem Jahr als freiberufliche Dolmetscherin. „Leipziger Absolventen genießen einen ausgezeichneten Ruf und dolmetschen auf höchster Ebene, in Ministerien und in der Wirtschaft“, sagt sie und fügt hinzu: „Die letzte Ausbildungsstätte dieser Art in Ostdeutschland kaputtzusparen, wäre ein unverzeihlicher Fehler.“

Die drohende Abwicklung ruft auch die Landtagsopposition auf den Plan. Sachsens Linke setzt sich vehement für den Erhalt des Russisch-Schwerpunkts in Leipzig ein. Dessen Abschaffung wäre „das gänzlich falsche Signal zur falschen Zeit und außerdem wissenschaftlich, professionell, gesellschaftlich und politisch unangemessen und schädlich, ja ein Armutszeugnis“, schrieb der hochschulpolitische Sprecher der Fraktion, René Jalaß, in einem Brief an Unirektorin Beate Schücking. „Russland gehört zu Europa – und der Sprachschwerpunkt Russisch gehört einfach zur Uni Leipzig!“

„Das Fächersterben an Sachsens Hochschulen muss ein Ende haben“, forderte auch die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Maicher. Studentinnen und Studenten brauchten endlich Planungssicherheit. Zwar suchten Rektorat und Fakultät für die Zukunft der Russisch-Dolmetscher nach einer tragfähigen Lösung, so Maicher: „Eine Garantie für ein gutes Ende ist das allerdings noch lange nicht.“

Sorge äußert auch die Industrie- und Handelskammer zu Leipzig: „Außenwirtschaftlich aktive Unternehmen sind auf gut ausgebildete Dolmetscher angewiesen“, sagte deren Präsident Kristian Kirpal. Die ostdeutsche Wirtschaft pflege traditionell enge Verbindungen zum russischen Markt, aber auch zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. „Russisch ist dort nach wie vor die beherrschende Sprache im Wirtschaftsverkehr. Die Schließung der Ausbildungsstätte für Russisch-Dolmetscher und -Übersetzer an der Universität Leipzig wäre deshalb sehr bedauerlich.“

Winfried Mahr
ist Redakteur der Leipziger Volkszeitung.