Mittwoch, 24. April, 2024

Russland setzt neue Regeln für ausländische Investoren

Von Vladislav Belov

Deutsche Unternehmen gehörten zu den ersten, mit denen das russische Industrie- und Handelsministerium gemäß der neuen Industriepolitik des Landes 2016 Pilot-Sonderinvestitionsverträge (SIV – russ. SPIK) abschloss. Es handelte sich um Investitionen in den lokalen Maschinen- und Anlagenbau mit einem Volumen von rund 10 Millionen Euro, für die Vorzugsbedingungen auf föderaler und regionaler Ebene gewährt wurden.

Mitte 2019 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Änderungen in der Behandlung von Investitionsverträgen durch den Staat vorsieht. Inoffiziell wird dieses Gesetz als SPIK 2.0 bezeichnet. Änderungen bei der Regulierung der Sonderverträge betreffen vor allem Einsatz und Entwicklung fortgeschrittener Technologien. Öffentliche Vertragspartner darf nun nicht mehr nur eine russische Gebietskörperschaft sein, sondern auch eine Gemeinde.

Festgelegt wurden auch die Vertragslaufzeiten: höchstens 15 Jahre für Projekte mit einer Investition von bis zu 50 Milliarden Rubel und höchstens 20 Jahre bei höheren Volumina. Die Verträge dürfen nur nach einer öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung abgeschlossen werden.

Auch eine Obergrenze für die staatliche Förderung wurde festgelegt. Außerdem wird ein Register für diese Verträge angelegt und die sogenannte Großvaterklausel eingeführt; sie garantiert gleichbleibende Bedingungen während der Vertragslaufzeit für den Investor. Wichtig ist auch, dass bisherige SPIK ihre Gültigkeit behalten.

Derzeit laufen von den 45 vom Industrie- und Handelsministerium abgeschlossenen Sonderverträgen sieben unter deutscher Beteiligung. Vier Projekte betreffen den Automobilbau: Volkswagen, Daimler (eigenes PKW-Werk und ein gemeinsames LKW-Werk mit KAMAZ) und BMW (über Avtotor). Ein Projekt ist im Werkzeugmaschinenbau (DMG-Mori), zwei weitere sind im Maschinenbau (Claas Landmaschinenbau und Wilo Pumpenbau) angesiedelt.

Bei früher abgeschlossenen SPIK mussten die Beteiligten den Vertragsinhalt nicht offenlegen. Anders als bei Industriemontageverträgen, bei denen die Konditionen für alle in etwa gleich sind, waren diese Verträge nicht transparent. Dritte Unternehmen konnten über die Konditionen lediglich spekulieren. Das führte zu Unzufriedenheit und Verärgerung bei Marktteilnehmern, die keine Möglichkeit hatten, individuelle Bedingungen durchzusetzen. Das scheint auch für die neuen Verträge zu gelten.

Wenn sich die deutschen Unternehmer auch gern an solchen staatlich geförderten Verträgen beteiligen, halten sie dieses Vorgehen doch für einen Widerspruch zu den Regeln in einer liberalen Wirtschaft und zu deren wichtigem Grundsatz der Politik des fairen Wettbewerbs. Die deutsche Regierung in Gestalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie teilt diesen Standpunkt.

Andererseits ist die intensive Lobbyarbeit bemerkenswert, die nicht nur von der deutschen Wirtschaft insgesamt, sondern auch von einzelnen deutschen Playern auf höchster bundesdeutscher Ebene betrieben wird. Jedes von ihnen verfolgt im Bemühen um Nähe zur Regierungsmacht seinen eigenen individuellen Ansatz in dieser Frage. Das hat wesentlich die Effizienz in den Verhandlungen und den Abschluss von SPIK begünstigt. Die größten Erfolge konnte Daimler verzeichnen, dem von Moskau bei vergleichsweise geringem eigenem Aufwand Sonderkonditionen für den Aufbau einer eigenen Fertigungsmontage ohne technologischen Höchststandard eingeräumt wurden.

In den Jahren 2015-2019 hat der russische Staat den Produzenten von PKW und Nutzfahrzeugen besonderes Augenmerk gewidmet. Auf sie entfiel der Großteil der direkten staatlichen Förderung im Vergleich zu den anderen Branchen der russischen Wirtschaft.

Hauptforderung an die ausländischen Investoren war die Gewährleistung des Übergangs zum kompletten Fertigungszyklus und der Lokalisierung einschließlich der unter dem Blickwinkel von Effizienz und Wirtschaftlichkeit recht schwierigen Verlagerung der Fertigung der entscheidenden Baugruppen Motor und Getriebe nach Russland. Gerade in diesem Bereich ist dank der Sonderinvestitionsverträge eine deutliche Zunahme des Wettbewerbs zu verzeichnen.

Die Verträge der ersten Generation betrafen überwiegend Investitionen in den Aufbau von Fertigungsprozessen und deren Lokalisierung. Die deutschen Investoren verlagerten bereits erprobte konventionelle Produkte und Technologien nach Russland, die vom russischen Markt jedoch durchaus benötigt wurden. Sie leisten einen Beitrag zur Modernisierung der inländischen Industrie, führen aber zu keinen grundlegenden Veränderungen, ohne die Russlands Industrie sich nicht entwickeln und aufholen kann. Die zweite Generation dieser Sonderverträge soll nun strategische Investoren motivieren, in ihren russischen Produktionsstätten neueste technologische Entwicklungen und Verfahren einzusetzen.

Die Aussichten für die Beteiligung deutscher Unternehmen an SPIK 2.0 können gegenwärtig nur schwer eingeschätzt werden. Eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht für die Teilnahme von Volkswagen und 
ZF Friedrichshafen AG an Verträgen zur Fertigung von Fahrzeugkomponenten. Seit Sommer 2019 verhandelt das Industrie- und Handelsministerium mit diesen Unternehmen, es geht um föderale und regionale Steuervergünstigungen, Möglichkeiten der Gestaltung eines individuellen Ablaufplans für die Lokalisierung technologischer Operationen, Fragen der Erstattung eines Teils des Einfuhrzolls für Subkomponenten und die Subventionierung eines Teils der Transportkosten beim Export der Fertigerzeugnisse.

Gute Aussichten hat, ungeachtet der bestehenden Probleme mit dem Partner im Joint Venture, dem Unternehmen Silovye Mashiny, das Unternehmen Siemens im Schwermaschinenbau (Bau von leistungsstarken Gasturbinen).

Chancen auf Zugang zu den neuen SPIK haben nur jene deutsche Investoren, die mit modernen und zukunftsfähigen Technologien auf dem russischen Markt aktiv werden möchten und im Gegenzug mit mittelfristigen staatlichen Garantien und Förderung rechnen können. Gleichwohl: Derzeit ist unter den deutschen Partnern kein größerer Andrang nach Beteiligung an Verträgen der neuen Generation zu verzeichnen, ebenso wenig wie der Wunsch, fortgeschrittene Technologien in Russland zu implementieren.